Der Wecker klingelt. Für jeden normalen Studenten heißt das: Aufstehen, zur Uni fahren, Lernen. Für die meisten Fernstudenten bedeutet das erstmal: Aufstehen, in die Firma fahren, arbeiten. Anstelle von Vorlesungen zu festen Terminen in der Uni treten ein Stapel Studienhefte und der einzige feste Termin im Semester: Die Prüfung.
Zwischen Semesterbeginn und Prüfungstermin befindet sich viel Zeit, Flexibilität und ein Ziel. Diese Zeit sinnvoll zu nutzen, ohne die hohe Flexibilität auszunutzen und gleichzeitig sein Ziel zu erreichen, ist eine schwierige Aufgabe.
Langfristige Ziele, wie ein erfolgreicher Fernstudium-Abschluss, sind nur mit Selbstständigkeit und Disziplin zu erreichen. Dies klingt natürlich total selbstverständlich, dabei sind Selbstständigkeit und Disziplin alles andere als selbstverständlich. Oft muss man sich diese Eigenschaften während eines Fernstudium neu aneignen. Denn Selbstständigkeit und Disziplin sind wichtige Persönlichkeitsmerkmale, die nicht angeboren sind, sondern sich über die gesamte Lebensspanne entwickeln.
Zu glauben, man würde dies schon irgendwie hinkriegen, kann fatale Folgen für den Erfolg des Fernstudiums haben und hat sich daher einen Platz unter den „10 Fehlern beim Fernstudium“ verdient. Wie wichtig Selbstständigkeit und Disziplin bei einem Fernstudium sind, wird man spätestens dann erfahren, wenn das Ziel, bzw. Teilziele nicht erreicht wurden und die Zeit davonläuft, ohne dass man die erforderlichen Lernleistungen erbracht hat. Grund für dieses Verhalten ist oftmals das Phänomen der Selbstüberschätzung.
Gut, Besser, Ich: Das Phänomen der Selbstüberschätzung
Der Glaube an sich selbst ist Teil unserer Überlebensstrategie und auch Voraussetzung für Erfolg. Jedoch verläuft die Grenze zwischen Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung fließend. Erst im Nachhinein wird einem bewusst, dass man sich überschätzt hat, z.B. wenn man seine Lernziele aufgrund von Überforderung und Zeitmangel nicht erreicht hat.
Fernstudenten müssen Tag für Tag Entscheidungen treffen, die ihre Ziele beim Fernstudium nachhaltig beeinflussen können. Wenn das eigene Vorwissen zu hoch und der Lernumfang und Zeitaufwand zu gering eingeschätzt werden, erleiden nicht wenige eine Bruchlandung.
Dabei schützt Unwissenheit vor Strafe nicht. Bei Wirtschaftsmathe habe ich den Lernaufwand und das erforderliche Vorwissen zur Bearbeitung des Moduls im ersten Semester auch zu gering eingeschätzt. Jetzt bin ich schlauer 😉 und kann besser einschätzen, worauf man bei der Modulwahl und der Einschätzung des Lernaufwands achten sollte.
Es ist also nicht gerade „schwer“, sich selbst zu überschätzen. Psychologisch gesehen liegt es sogar in der Natur des Menschen. So werden z.B. Erfolge dem eigenen Können zugeschrieben, Misserfolge aber den äußeren Umständen (externale und internale Attribution). Dabei ist dieses Phänomen bei Männern stärker ausgeprägt, als bei Frauen.
Selbstüberschätzung kann bei Uneinsichtigkeit zu eingeschränkter Lernfähigkeit führen. Wenn man sein eigenes Können und Wissen überschätzt, wird man sich nie hinterfragen, warum man Schiffbruch erlitten hat und wird immer wieder, sogar noch intensiver, auf die falsche Strategie setzen . Umso wichtiger ist es, klassische Verhaltensmuster zu durchbrechen und die Strategie zu überprüfen und das eigene Verhalten in Frage zu stellen.
Ein gesundes Selbstvertrauen bleibt jedoch unerlässlich, um beim Fernstudieren Erfolg zu haben. Die richtige Balance zwischen realistischem Selbstvertrauen und der erforderlichen Selbstständigkeit und Disziplin zu finden, kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Vor allem beim Start eines Fernstudium braucht es Zeit, um sich in die neue Situation einzufinden. Offenheit zu Änderung falscher Verhaltensweisen und eine kontinuierliche Selbstreflektion werden dazu beitragen, Lernprozesse zu optimieren und schnelle Erfolge zu erzielen, die sich wiederum positiv auf den Selbstwert auswirken.
Selbstständiges Lernen beim Fernstudium
Selbstständiges Lernen ist bei einem Fernstudium unverzichtbar, schließlich gibt es i.d.R. niemanden, der einen an die Hand nimmt und beim Lernen begleitet. Auch bei einem Präsenzstudium spielt eine selbstständige Arbeitsweise, .z.B. bei Abschlussarbeiten, Hausarbeiten oder Prüfungsvorbereitungen eine wesentliche Rolle. Beim Fernstudium ist der Umfang der Aufgaben, die man in einem einen längeren Zeitraum eigenständig erledigen muss, jedoch höher, da die Vermittlung des Lernstoffs auch selbstständig erfolgen muss.
Beim Fernstudium werden kaum Strukturen von außen vorgegeben, die Strukturen muss man selbst schaffen. Die Anforderungen an eine selbständige Arbeitsbewältigung sind daher umso höher.
Selbstständiges Lernen ist anspruchsvoll
Die Annahme, dass Selbstständigkeit beim Fernstudium selbstverständlich ist und zu keinen Schwierigkeiten führen sollte, ist nicht richtig. Ebenso, wie es falsch ist zu denken, dass Fernstudenten mit Lernproblemen faul sind. Denn Lernschwierigkeiten haben nichts mit Faulheit zu tun! Denn wirklich faule Studenten sind mit sich völlig im Einklang und weisen keine Spuren von schlechtem Gewissen auf.
In vielen Fällen sind es gerade die Perfektionisten, denen es besonders schwer fällt die hohen Anforderungen an Arbeit, Partner, Familie und Fernstudium unter ein Hut zu bekommen. Da bei einem Fernstudium Prioritäten gesetzt werden müssen, wird es immer Aufgaben geben, denen man nicht sofort oder in der gewünschten Intensität nachgehen kann. Bei zu hohen Ansprüchen an sich selbst, kann es schnell zu Lern- und Zeitproblemen kommen.
Wie schwierig es ist, während eines Fernstudium selbstständig zu lernen, lässt sich anhand eines einfachen Beispiels beschreiben.
Man nimmt sich z.B. vor am Samstag um neun Uhr morgens am Schreibtisch zu sitzen und etwas für das Fernstudium zu tun. Aber am Abend zuvor ist es vielleicht schon spät geworden und so entscheidet man sich erstmal (viel zu lange) auszuschlafen. Das Aufstehen beginnt mit Unzufriedenheit, da dies schon öfter passiert ist. Jetzt könnte man zwar um halb 11 Uhr mit dem Lernen beginnen, doch um 12 ist man mit der Freundin zum Shoppen verabredet. Eigentlich müsste man zugunsten des Fernstudiums absagen, aber man will sie auch nicht enttäuschen. Es lohnt sich also nicht mehr anzufangen. Dafür entscheidet man sich, nicht so lange in der Stadt zu bleiben und dafür Nachmittags zu lernen. Das beruhigt das schlechte Gewissen erstmal.
Nachmittags verabredet man sich mit dem Freund im Coffeeshop. Der hat wichtige Neuigkeiten zu erzählen, sodass man das Gespräch nicht einfach so abbrechen will. So zerrinnt die Zeit wieder zwischen den Fingern und man befindet sich wieder viel zu spät auf dem Nachhauseweg. Ein unwohliges Gefühl kommt auf, denn jetzt ist es schon spät Nachmittags und man sitzt immer noch nicht am Schreibtisch.
Als man endlich zu Hause angekommen ist, ruft erstmal Mutti an erzählt in einem langen Wortwall, was letzte Woche alles passiert ist. Tatürlich möchte auch der Bruder noch alle Details seines neu gestarteten Praktikums berichten. Er berichtet so euphorisch, dass die Studienhefte sicherlich noch 15 Minuten warten können.
Jetzt ist es schon 6 und die Wochenendeinkäufe müssen noch erledigt werden! Der Freund ist abends verabredet und so muss man wohl oder übel nochmal alleine los… Vielen Dank für die Unterstützung! Man weiß nicht, was größer ist: Der Ärger auf den Freund oder auf sich selbst. Die Warteschlangen sind lang und die Menschen nervig. Als man um halb 8 wieder zu Hause ist, erreicht der Frust seinen Höhepunkt. Jetzt erstmal Kochen und Essen, später kommt noch eine Freundin zum gemeinsamen Frauenabend vorbei.
Das schlechte Gewissen ist groß. Man hat wieder nix zustande gebracht. Und mit der Motivation braucht man jetzt auch nicht mehr anzufangen… Aber morgen um 9 Uhr wird man Lernen. Hoffentlich wird es nicht wieder so spät…
Wahrscheinlich werden jedem Fernstudent solche Tage bekannt vorkommen. Man verschläft, kommt zu spät von der Arbeit, muss die Kinder noch irgendwo hinfahren, hat was mit dem Freund vor oder verquatscht sich einfach am Telefon.
Solche Situationen gehören zu Alltag und lassen sich nicht immer abstellen. Wird man durch solche Situationen jedoch immer wieder von seinen Zielen, bzw. vom Lernen abgehalten, sollte man dringend etwas an seinem Verhalten ändern, um wieder lernfähig zu werden!
Selbst gesetzte Termine sind auch Termine!
Ein Fernstudium bedeutet selbst bestimmen zu können, wann, wo und wie man lernt. Die Freiheit zur Zeiteinteilung bedeutet aber nicht die Freiheit von Verpflichtung. Zeitautonomie ist sicherlich ein Privileg für jeden Fernstudenten, stellt jedoch sehr hohe Anforderungen an Selbstständigkeit und Disziplin.
Termine, die man sich selbst setzt, sind auch Termine! Und mit diesen verpflichtet man sich (selbst gegenüber), bestimmte Aufgaben zu einer festgelegten Zeit durchzuführen. Der Uni ist es letztendlich egal, ob man lernt oder zur Prüfung fit ist. Hier ist auch der entscheidende Unterschied zur selbstständigen Arbeit im Betrieb. Denn dem Chef und den Kunden wird es nicht egal sein, ob man seine Aufgaben termingerecht bearbeitet oder nicht.
Eine selbstständige Arbeitsweise in der Firma muss also nicht auch automatisch eine selbstständige Arbeitsweise beim Fernstudium bedeuten. Zudem wird die Erfüllung der Arbeit in der Firma meist registriert und man ist irgendwem in irgendeiner Weise verpflichtet, gegenüber dem Chef, den Kunden oder den Kollegen. Diese Art der Verpflichtung und Eingebundenheit in ein Arbeitsnetz, das Forderungen stellt, belohnt oder kritisiert oder einfach nur meine Arbeit wahrnimmt, hat einen äußerst starken Effekt auf die Motivation.
Fernstudenten sind im Vergleich dazu ziemlich allein. Erfolge und Misserfolge während des Fernstudiums werden nur von einem selbst registriert. Man ist lediglich sich selbst gegenüber verpflichtet. Mit immer neuen, besseren Plänen kann man sich selbst viel besser etwas vormachen. Die Integration in ein soziales Netzwerk, wie es in der Arbeit oder an einer Präsenzuni der Fall ist, müssen Fernstudenten durch konsequente Selbstständigkeit und eiserne Disziplin kompensieren.
Die Lust der Selbstbestimmung kann schnell zur Last werden, denn Selbstständigkeit und Disziplin erfordern Anstrengung und Kompetenz, die man sich erst aneignen muss. Stärker strukturierten Arbeitsabläufe, wie man sie von der Schule, einem Präsenzstudium oder der Arbeit kennt, finden beim Fernstudium keine Anwendung. Viele Fernstudenten werden daher von der Mühe und der erforderlichen Fähigkeit zur Selbststeuerung, die eine freie Zeitbestimmung mit sich bringt, überrascht und verunsichert.
Doch beim Fernstudium kann und muss man selbst bestimmen, wann, wie was und wie lange man lernt. Ebenso muss ich selbst Antworten auf Fragen finden:
- Ist dieser Inhalt prüfungsrelevant?
- Habe ich das Thema ausreichend bearbeitet oder etwas vergessen?
- Muss ich für dieses Kapitel noch mehr üben?
- Lerne ich zu Hause oder in der Bibliothek?
- Soll ich die Veranstaltung zur Prüfungsvorbereitung besuchen?
- Lerne ich alleine oder mit anderen Fernstudenten?
- Soll ich jetzt oder später lernen?
Für all diese Fragen muss ich selbst die Antwort finden, was nicht immer leicht ist. Eigene Erfahrungen, Tipps von anderen Fernstudenten oder Profs. und Dozenten können hier hilfreich sein, für sich selbst bessere Entscheidungen zu treffen. Vielleicht ist man es nicht gewohnt, so viele Entscheidungen selbst treffen zu können. In der Arbeit werden man womöglich durchschnittlich deutlich weniger Entscheidungen treffen müssen. Dort sind Aufgabenstellung, Arbeitsmittel und Arbeitsbedingungen weitgehend vordefiniert und auf die Arbeitsergebnisse erfolgt meist ein schnelles Feedback, an dem man sich orientieren kann.
Als Fernstudent muss man die Aufgaben, Termine und Lernbedingungen selbst definieren und die Ergebnisse immer wieder reflektieren und bewerten. Nur so wird man sich selbst Orientierung und Sicherheit geben können.
Das Fernstudium ist kein Ponyhof (leider…)
Fernstudieren wird durch wegen der hohen Selbstbestimmung gerne mit Freiheit, Flexibilität und mehr Motivation und Spaß beim Lernen in Verbindung gebracht. Man meint, ein selbst organisiertes Studium, dem man grundsätzlich positiv gegenübersteht und welches man selbst gewählt hat, würde auch automatisch mehr motivieren, als fest vorgegebene Strukturen, wie man sie in der Schule oder an einer normalen Uni kennt.
Das ist eine Illusion, denn ein selbst organisiertes Studium erfordert noch mehr Eigenmotivation, Selbstdisziplin, Ordnung und Anstrengung. Ich habe mich auch gefragt, warum mir das Fernstudium im ersten Semester so schwer fiel. Ganz einfach: Weil es schwer ist. Die Vorbereitungen auf die Module, die Bearbeitung der Studienhefte, das Üben der Aufgaben, Aneignung von Grundkenntnissen und die Prüfungsvorbereitungen sind kein Ponyhof.
Und es ist nun mal so, dass das Fernstudium zum Großteil aus beschwerlichen, langweiligen, eintönigen und anstengenden Tätigkeiten besteht, auf die man gar keinen Bock hat. Meine Mum sagt zwar immer, ich solle mein Fernstudium zum Hobby machen, aber das verlangt meinem schauspielerischen Talent nun wirklich zu viel ab. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf ;). An den meisten nervigen Aufgaben kann man nun mal nichts ändern, man muss sie einfach nur akzeptieren.
Doch gerade die gezielte Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten und das Überwindung von Problemen wird ein gutes und befriedigendes Gefühl verschaffen und für die schrittweise Bewältigung der Lernumfangs sorgen. Man muss jedoch einen langen Atem beweisen und auch Anstrengungen und Entbehrungen in Kauf nehmen müssen. Das Fernstudium stellt immer neue Herausforderungen an einen selbst, nur wenn man sich diesen konstruktiv stellt, wird man auch die Vorteile der Selbstbestimmung für sich nutzen können.
Fazit
Das erste Semester war sehr lehrreich für mich. Ich habe einige Organisations-, Zeit- und Lernfehler gemacht, die ich im neuen Semester nicht wiederholen möchte. Vielleicht war es auch einfach nur eine gefährliche Mischung aus persönlicher Selbstüberschätzung und Unterschätzung des Fernstudiums.
Das Fernstudium habe ich mir selbst ausgesucht und es war nach wie vor die richtige Entscheidung. Ein selbst organisiertes Fernstudium war etwas Neues für mich und ist nicht mit der selbstständigen Arbeitsweise in der Firma oder damals in der Schule und an der Präsenzuni vergleichbar. Beim Fernstudium bin ich niemandem Rechenschaft schuldig und nur mir selbst gegenüber verpflichtet. Umso wichtiger ist es, die eigenen Aufgaben und Termine mindestens genauso wichtig zu bewerten, wie Termine im Job.
Neben dem eigentlichen Lernen bin ich nun auch für die Planung und Organisation meines Fernstudiums zuständig. Und keiner ist mir böse, wenn ich mal Termine nicht einhalte oder zu wenig für das Studium lerne… außer mein schlechtes Gewissen. Und dieses hatte ich im ersten Semester nicht selten. Vor allem, als ich mich von der Prüfung im März wieder abgemeldet habe. Ich habe hohe Ansprüche an mich und vielleicht wollte ich auch alles viel zu perfekt machen. So nach dem Motto „Ich kann nur zur Prüfung gehen, wenn ich 100% perfekt vorbereitet bin.“
Selbstständigkeit und Disziplin sind wichtig, aber mit zu perfektionistischen Ansprüchen steht man sich nur selbst im Weg. Denn Perfektionismus kann schnell zum Klotz am Bein werden und dazu führen, dass Das führt dazu, dass man erst gar nicht mit dem Lernen anfängt oder gar nicht zu Ende lernt. Das Lernen wird dann zur Quälerei, weil man denkt, den Stoff nie gut genug zu beherrschen. Und die Motivation bleibt auf der Strecke.
Für das neue Semester sage ich mir „Ich kann zur Prüfung gehen, wenn ich in Anbetracht der Umstände und meiner Möglichkeiten zu dem Fazit komme, das bestmögliche Lernresultat erzielt zu haben.“
Ab April wird sich auch meine berufliche Situation ändern, sodass ich auch die Vorteile des Fernstudium (ja, die gibt es auch :D), nämlich die Abstimmung auf meine persönlichen Bedürfnisse, Stärken und Vorlieben besser nutzen und dadurch sowohl die Lernqualität, als auch die Motivation steigern kann ;).
Kommentar hinterlassen on "Fehler 8 beim Fernstudium: Mangelnde Selbstständigkeit und Disziplin"